Am Fluss
Der Regen war so ein leis-latschiges Ding, nix Halbes, nix Ganzes. Tropfte mir vom Schirm, als tät er sich langweilen. In Passau is des halt normal – der Fluss schaut grantig rauf zur Stadt, und der Wind kummt um d’Ecken wia a aufgstellter Dackel. I stand unterm Baum beim Dreiflüsseufer, die Donau hat leicht gurgelt, so a dumpfes Geräusch, als würd sie sich über was beschweren. I hab’s verstanden.
I bin da gstanden, weil i nix Besseres z’ tun g’hab – fei wegen der Inspiration, sogt ma. Aber wia gewöhnlich: der Kopf leer, nur Nebel, Nässe und dieses G’schlurfe vom Wasser. Kein Wunder, dass i Krimis schreib – das Wetter schreit praktisch nach Mord. Mei, i hätt’s mir net ausgesucht, aber i kann ned ohne a bisserl Dunkel.
Da is dann der Fischer gekommen, der Zwickl, mit seiner alten grünen Jacken. Furztrocken schaut er mi an und sogt: „Heit isn komischn Fang g’habt… du, G’scheiter.“
A Moment im Grau
I hätt ja lachen können. Aber in der Luft lag so was Klebriges, so ein Strom, der unter der Haut summt. Der Zwickl war a Typ, den nix so schnell aus der Bahn bringt. Wenn der den Mund so schmal zieht, dann is was. I ließ also den Schirm abtropfen, stapfte rüber und roch diesen metallischen Beigeschmack von Regen auf Eisen. Donau, Inn und Ilz drückten feucht gegeneinander, als müssten sie sich gegenseitig beweisen, wer grantiger sein kann.
„Zwickl, sag glei, is des a Witz oda ernst?“
„Witz? Ned der Tag dafür“, meint er bloß, und schiebt die Kapuzn vom Kopf.
Da, in dem dämmerigen Morgengrau, war plötzlich nix mehr bloß Kulisse. I dacht, wie schnell Normalität umkippt. Des war genau der Ton, auf den Schriftstellerei wartet – leider is er nur schöner, wenn’s net echt is.
Da liegt was im Dreck
Wir sind runter ans Ufer, die Gummistiefel sinken ein paar Zentimeter ins Gatsch. Es riecht nach Holz, nasser Erde, a bissl nach Fisch, a bissl nach Ärger. Der Zwickl deucht mi nervös, was selten is – sonst kann den nix aus der Ruh bringen, net amoi der Bürgermeister.
„Was is’n?“, sog i, „Hast an Aal, der Zeitung lesen kann?“
Er nickt in die Richtung vom Schilf, und da… ja, da liegt was. Erst dacht i, a alter Sack. Dann hab i die Hand g’sehn. Blass, aufgedunsen, wia a nasses Stück Papier. Oida!
Mir is kurz kalt wordn, aber ned wegen’m Wind. Der Zwickl sogt nix mehr, nur: „I hab g’meint, du musst des sehn.“
Zwischen Schilf und Schatten
I ging ein Stück näher, das Herz klopft dumpf gegen die Rippen, aber a Teil von mir beobachtet ganz nüchtern: die Haltung, der Winkel der Arme, das Wasser, wie’s am Ärmel hinunterrinnt. Schriftstellerkrankheit, i sag’s ja. I denk gleich in Formulierungen: eine Hand, die vom Fluss verschluckt und wieder ausgespien wurde.
„Hast wen verständigt?“ frag i und hock mi hin.
„Noch net. I wollt zuerst sicher sein, dass i mir nix einbild.“
„A Leich, Zwickl, die bildest dir net so leicht ein.“
Der Wind zuckt durchs Schilf, und a Krähe lacht daneben. I spür plötzlich die ganze Stadt über uns, da oben hinter den Uferlinien: die Türme, die Busse, des träge Leben. Und hier unten liegt jemand, dem’s glei is, ob’s Montag ist oda ned.
I wollt meinen Block rausholen, aber irgendwas in mir sagt: Lass lieber stecken. Es gibt Zeiten, da darf man net schreiben, net gaffen, net deuten. Nur schauen. Und atmen.
Dann ging’s wie ferngesteuert. Polizei anrufen, kurz reden. Zwickl wurde blasser, je länger das dauerte. I dacht an die Donau im Sommer, ans Bier auf der Terrasse, an irgendwas Unschuldiges. Aber des is das G’spenstische – sogar die schönste Erinnerung kriegt schnell Risse, wenn neben dir jemand tot im Gatsch liegt.
Wirtshausgschichtn
Später hock i beim Gasslbräu, da wo der Holzofen glimmt und die Jackn dampfen. Die Kellnerin – die Resi – bringt mir a Halbe, ohne dass i was sog. Sie kennt mi. „Hast scho wieda an Mord?“ fragt sie, halb im Spaß, halb im Ernst.
„I hoff, dass net. Aber da liegt a Mentscha am Fluss. Könnt höchstens a blöder Zufall sein.“
Sie schaut mi an, so a Blick, der sagt: ‚In Passau gibt’s koane Zufäll‘. Und i sog: „Fei. Mei, des G’spür stimmt oft mehr wia Beweise.“
Nebenan raunzt einer über die Politik, a anderer über den FC Bayern, jeder hat sei eigenes Drama. So klingts im Gasthaus, da leb i fast scho drin. Aber diesmal fühl i mi unruhig. I schreib ja sonst drüber – diesmal steht die Geschicht vor mir, mitten im Schlamm.
Dampf, Brotzeit und ein Riss im Tag
Die Wände sind beschlagen, und Resi stellt mir a zweite Halbe hin, „aufs Haus, du schaust aus, wia a nasser Hund.“
„Bin’s ja praktisch aa“, grummelt i und zünd mir a Filterlose an. Der Rauch ringelt sich zum Fenster, überm Tresen läuft alte Blasmusik ausm Radio. Die Stimmen werden dumpf, als wär die Welt hinter Glas.
„Hast die Frau kennt?“ fragt sie leiser.
„Na. Oder i glaub net. Aber was i net g’laubt hab, stimmt in letzter Zeit nimma so oft.“
Sie zuckt mit den Schultern, räumt Gläser ab. I bleib allei da sitzen, hör, wies draußen wieder anfängt zu nieseln. Des Tropfenklacken an der Fensterscheib, des hat was Hypnotisches. I stell mir vor, wie die Donau des Wasser weiterschluckt, wie sie alles trägt, was die Leute nimmer sehn wollen.
Später, wie i rausgeh, riecht’s nach Brotbacktag. Ein Mann mit grauem Hut hält mir kurz die Tür auf – i kenn den ned, aber der Blick bleibt kleben. So ein Blick, der fragt, ob du was weißt. Und i tu, als hätt i nix zu wissen.
Papierkram und schiefe Blicke
Die Polizei war schneller, als i gedacht hab. Kommissar Leitner – a Kerl mit zu kurzen Ärmeln und zu langer Laune – steht bei mir vor der Haustür, als i grad die nassen Stiefel auszieh. „Herr Schriftsteller“, sogt er, „Sie waren heut früh am Fundort?“
I nick. „Zufällig, fei. Hab nix angfasst.“
Er zieht a Notizbuch raus. „Sie schreiben doch Krimis. Wenn i Schulden hätt – sollt i mi sorgen?“
I lach trocken: „Nur, wenn’s dich in an Roman verschlägt.“
Er grummelt was, nimmt meinen Namen auf, und i merk, dass sein Blick irgendwo zwischen Misstrauen und Müdigkeit hängt. Der Wind pfeift durchs offene Fenster, bringt a feuchten Duft nach Fluss rein. I schau ihm hinterher, denk mir: i hab keine Ahnung, wer die Frau war. Aber i glaub, sie kennt mich auf irgendeine Art.
Nachklang im Hausflur
Wie er weg is, bleib i noch steh, barfuß auf dem kalten Steinboden. Von unten riecht’s nach Kohl, oben hackt irgendeiner Holz. Also Alltag, wia immer, aber drunter schiebt sich was – a Stimme im Hinterkopf: Sie kennt dich. I wälz die Wörter, sie schmecken nach Unruhe.
Ich geh zum Fenster, schau auf die Gasse. Zwei Schüler rennen vorbei, a Bus hupt. Alles läuft, als wär nix. Und trotzdem fühl i die unsichtbare Schnur zwischen mir und dem Fluss. Vielleicht, denk i, is des Schreiben gar nix andres als genau so a Schnur: man zieht, es bewegt sich was, und man weiß ned, was man da herholt.
I geh in die Küche, schenk mir a Stamperl Obstler ein. Nur zum Nachdenken, sag i mir. Dann schreib i zwei Zeiln in mei Notizbuch: Frau im Wasser. Blick vom Fischer. Kommissar misstrauisch. Und daneben: Warum ich?
Dann streich i’s wieder durch. Bringt nix. Jeder Gedanke verzweigt sich in Fragen.
Da Wind dreht
Spät am Abend sitz i am Schreibtisch. Der Regen hat aufgehört, nur der Wind hört net auf, um die Ecken zu streichen. Auf’m Computer blinkt das leere Dokument, Kapitel eins. Ich tipp: „Es begann am Fluss…“ – dann lösch ich’s wieder. Zu pathetisch. I will Wahrheit diesmal, koa G’schicht.
I denk an die Hand im Schilf, an die Resi, an den Kommissar. Und plötzlich – das Telefon scheppert. Nummer unterdrückt. I geh hin, sag nix.
Eine Frauenstimme, leise: „Sie sollten nicht schreiben, was Sie gesehn ham.“
Dann klick.
Na bravo, denk i mir. Jetzt geht’s fei an.
Ein kalter Luftzug
I bleib no a Weilchen mit dem Hörer in der Hand, der Summton läuft, so monoton, dass er fast wie a Melodie klingt. Dann leg i ihn auf, setz mi hin und starr auf die Wand. Des Haus atmet, ganz sacht, als wär’s a alter Mensch, der zu viel weiß.
Draußen zerrt der Wind an der Regenrinne. Ich stell mir die Donaubrücke vor, schwarz im Dunkeln. Irgendwo flackert no Licht vom Gasslbräu rüber, blassgelb. Und i frag mi, ob d’Stimme aus’m Telefon von dort war oder ganz woanders. Vielleicht nur a Scherz, vielleicht a Warnung. Aber wieso spür i dann plötzlich des Zittern, ganz fein, wie wenn der Körper zuerst merkt, dass da was Ungewohntes lauert?
I klapp den Laptop zu, steh auf, öffne das Fenster. Der Wind schnalzt kalt rein. Über der Stadt hängt no Restnebel. Die Glocken läuten spät, dumpf und träge. Und i sog halblaut: „Na, meine Liebe, wennst was weißt – dann red halt gscheid mit mir.“
Natürli, koane Antwort.
Ich geh rüber zum Regal, zieh a alten Ordner hervor. Da san Notizen drin zu a paar unvollendeten Romanideen, Zeitungsschnipsel, Bilder. Und zwischen allem a Foto – verschwommen, irgendwo am Ufer, Sonne im Gegenlicht. Könnt von heit sein. Oder von vor fünf Jahrn. Nur dieser Schatten drauf, a weibliche Silhouette. Ich spür, wie mein Magen zieht. Vielleicht kennt sie mich wirklich.
Sturm im Kopf
Jetzt wird der Wind lauter, schlägt gegen die Balkonbrüstung, und i denk: Schreib, sonst packt’s di. Also schalt i wieder ein: Kapitel Eins. Es begann am Fluss. Diesmal lass i’s stehn.
Der Cursor blinkt, und i schreib weiter: Der Regen war weich, aber in der Luft lag Metall. Merkwürdig – je länger i tipp, desto echter wird des Gefühl, dass i was wiedergib, was schon passiert is. Vielleicht irre i mi, vielleicht is des bloß mein Hirn, das alles literarisch verklärt. Aber heut Abend, spür i, zieht was an – irgendwas will g’schriebn werden. Und was geschrieben werden will, findet a Weg.
Als Mitternacht vorübergeht, leg i mich endlich hin. Der Wind hat a Pause, nur die Donau gurgelt. I schließ die Augen, und kurz bevor i einschlaf, hör i’s wieder: ein dumpfes Platschen, als würd jemand durchs Wasser waten. Oder bloß a Traum.
In Passau weiß man des nie so genau.

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