Neblige Früh
Der Morgen war a grauer Hund. Kein Wind, kein Ton – bloß der Inn, wia a alter Hund, der im Schlaf schnauft. Ich stand am Fenster, Tasse in der Hand, Kaffee zu scharf, das Hirn noch nicht ganz wach.
Das Handy lag daneben, stumm. Kein neues Foto, kein Anruf. Aber jedes Mal, wenn’s bimmelt, zuckt was in mir, fei. Des Bild, wo i drauf steh, mitten am Tatort, das kriegt ma ned so schnell ausm Schädel.
Also aufgeschrieben. Damit’s ruhi wird. Das tu i immer, wenn was drückt. Wort für Wort, so lang, bis die Angst in Zeilen zerfließt.
Doch diesmal … niemals ganz ruhig. Die Frau im Wasser – die erinner i mich, oida, an die Augen. Zu bekannt. Und doch verschwomm’n.
Draußen wälzt sich der Nebel wie ein träger Fluss durch die Gassen. Von weitem bimmelt die Glocke vom Stephansdom, dumpf, wia a Herzschlag der Stadt. Ich lehn die Stirn ans Fensterglas, kalt gegen heiß. In der Stille hör ich fast die Feder kratzen, obwohl ich gar ned schreib. Nur der Gedanke, dass drunten jemand steht, vielleicht mit’m Blick nach oben, beobachtend, schneidet mir durch den Kopf.
„So jetzt“, sag i halblaut, „reiß di z’samm, Bua.“
Aber meine Stimme klingt fremd, als käme sie von woanders, durch den Nebel zruck zu mir.
Erinnerung am Fensterbrettl
Noch bevor i aufbruch, fällt mei Blick aufs alte Foto an der Wand. Sommer, drei Jahr her. Anna und i am Donauufer, sie lacht, der Wind dreht ihr’s Haar ins Gesicht. Wir warn ned lang – aber intensiv, sagt man so gscheit. Irgendwann is sie einfach weiter nach Norden, wegen a Kunstprojekt. Danach nur a paar Mails, dann nix mehr. Und jetzt? Jetzt liegt irgendwo a Frau im Wasser, und meine Erinnerungen schwimmen wie bleierne Fische hintendrein.
Ich nehm mein Notizbuch, steck’s ein. Draußen, am Hausflur, riecht’s nach fremdem Parfum – oder bild ich’s mir nur ei? Schritte auf der Treppe, langsam, hallend, dann Stille. I wart, bis mei Herz wieder normal klopft. Nix. Nur der alte Heizkörper, der schnauft.
Am Gasslbräu
Mittags bin i runter, durch die Altstadt. Feuchte Luft, riecht nach Fluss und Bruck’nstaub. Die Leute reden schon – über den Mord, über de Polizei. So glei geht des hier, gell. Im Gasslbräu hockt da Leitner schon, der Kommissar. Sein Bier war halb leer, aber der Blick voll Wacht. Resi nickt mir nur – sie spürt, dass do was in der Luft hängt.
„Hätt i mir denken können, dass du auftauchst“, sagt er.
„Weil i gern an gscheiten Schweinsbraten ess, woll?“ sag i.
„Weil i g’hört hab, du kriegst anonyme Post.“
Mir verrutscht die Gabel. Der Grantler in mir hätt am liabstn a blöde Bemerkung g’macht, aber i nick bloß. „Handyfoto, ja. Und?“
„Und wir ham keinen Schimmer, wer’s g’schickt hat. Das Netz is frei, aber das Gerät anonymiert. So a Schmarrn. Aber der Absender – wahrscheinlich in Passau. Gestern Nachmittag.“ Dann hebt er kurz die Brau’n, so, wia ma’s tut, wenn ma grad was ahnt. „Vielleicht solltst du dich a Zeitl zurückziehen.“
„Wohin denn, Leitner? In Wald? Da kennt mi aa jeder Hund!“
Resi bremst das Grinsen mit’m Tuch. „Bleib lieber in der Stadt, Grantler. Im Wald bist verloren, bei so an Nebel.“
Er zwinkert. „Oder schreib endlich wieder was, das net mit Mord anfängt. Wär gesünder.“
„Oiso no a Therapeut g’wordn, hä?“ Ich löffel die Soß und merk, dass mir die Worte zu schwer im Magen liegen.
Die Wirtshaustür geht auf, kalter Zug. Ein junger Kerl kommt rein – Kapuzenshirt, Kamera um’n Hals. Kurz trifft sich unser Blick. Ich spür sofort, dass der mi kennt. Vielleicht Leser, vielleicht Gaffer. Er nickt nur, setzt sich in die Ecke. Aber als ich im Schein vom Deckenlicht die Linse glitzern seh, friert mir fast der Atem ein.
„Leitner“, murmel i leise. „Siehst den da? Der knipst. Ohne Grund.“
Der Kommissar dreht bloß leicht den Kopf, sagt nix. Doch ich weiß, dass er’s gemerkt hat. Die Resi bringt dem Kerl a Brezn, tut so, als wär nix, aber ihre Augen huschen wie Mäuse.
Nachspiel im Gasslbräu
Nach dem Essen bleib i noch, schau durch den Bierdunst. Der Typ is verschwunden, als wär er nie da g’wesen. Nur a Wasserrand am Glas. Ich zahl, geb Resi a Zwinkern. Sie flüstert: „Wennst was brauchst, Grantler – i bin gleich hinterm Tresen.“
Draußen klatscht der Regen an die Pflastersteine. Leitner geht parallel, ein Stück hintnach. „Wennst was erfährst, ruf o, eh klar?“
„Nix is klar“, sag i, „aber pass auf, du – wenn des wirklich mit Passau war, dann is da Absender vielleicht gar ned weit.“ Er nickt nur, blickt Richtung Inn, dann verschwindet.
Alte Spuren
Später stapf i zum Dreiflüsseufer. Der Weg matschig, die Luft schwer wie nasser Filz. Keine Polizei mehr dort, aber am Geländer hängt a rotes Absperrband, flattert bloß leicht im Wind, wie a vergessene Erinnerung.
Ein paar Meter weiter steht wieder da alte Fischer. „Na, schau her. Der Schriftsteller. No a Baustelle im Kopf?“
Ich nick. „Des hört wohl ned auf, hm?“
Er fummelt an seiner Zigarette. „Die Frau – i hab gehört, die war vor Wochen hier g’segn. Bei der Ilz, mit a Kamera.“
„Kamera?“
„Joa. Hat fotografiert – Wasser, Brück’n, Leut. Vielleicht dich aa.“
Der grantige Stich fährt mir ins Hirn wie a kalter Nagel. Des erklärt vielleicht das Foto. Vielleicht.
„Kennst du sie?“ fragt er.
„I woass ned“, sag i. Lüge halb und halb. „Aber i schau glei mal, ob i noch was find.“
Beim alten Steg
Ich knöpf mir die Jacke zu und geh den Uferpfad weiter, bis der Asphalt endet. Der Steg knarrt unter meinem Gewicht, das Wasser gluckert trüb drunter durch. Im Nebel zeichnen sich nur Umrisse ab – Busch, Laterne, die Kontur einer Bank. Ich spür plötzlich, dass ich hier schon mal g’standn bin. Vielleicht mit ihr. Aber nix is sicher.
Ein flatterndes Papier hängt am Geländer, nass, halb aufgeschwemmt. Ich zieh’s runter, Dreh’s vorsichtig. A Foto, schwarzweiß. Der Fluss, genau dieser Steg – und auf’m Rand: a Silhouette mit Kamera. Sie? Oder wer anders? Ich kann’s ned erkennen, zu verwischt vom Regen.
Dann, ganz leise, ein Klick. Hinter mir? Ich fahr rum. Niemand. Nur die Tropfen. Trotzdem schwör i, dass der Ton echt war.
„Jetzt is’s soweit“, murmel i, „du halluzinierst schon.“
Doch da – auf’m Boden, a frische Zigarettenkippe, noch warm.
Eilig geh i fort, das Papier in der Jackentasch, und schwör mir, heut Nacht kein Fenster offen zu lassen.
Alte Notizen
Daheim zerfleddere ich alte Spiralhefte. Anna hat früher auch immer vom Licht gesprochen, vom Moment vor’m Regen. Ich such nach Hinweisen, Emails, alten Kontaktzetteln. Bei einem Umschlag, verkiest zwischen Rechnungen, find ich a Polaroid. Wir zwei, selfmade. Doch hinten drauf steht in fremder Handschrift: „Sieh genauer hin.“ Kein Datum.
Ich nehm das Foto gegen das Lampenlicht. Hinter uns, unscharf, steht jemand – oder etwas – zwischen den Bäumen. Wer hat das gemacht? Damals hab i nix bemerkt.
Ich klapp das Polaroid zu, steck’s ins Notizbuch und beschließ, am nächsten Tag an die Ilz zu gehn, dahin, wo der Schatten aufm Bild war.
Im Café Holler
Später, zurück in der Altstadt, setz i mi ins Café Holler. Die zwei alten Damen von neulich huschen wieder an mir vorbei – gar nix entgeht denen. „Do is er wieder“, flüstert die eine. Na super.
Ich tu so, als wär i vertieft in meine Notizen. Schreib mir die Worte vom Fischer auf: Frau mit Kamera. Das zieht a Spur.
Dann vibriert mein Handy. Nummer wieder unbekannt. Ich heb ab – diesmal kein Klang, kein Wortschnipsel. Nur ein Rauschen, so als wär da Wind im Draht, und dann … ein Foto poppt auf: dieselbe Stelle an der Ilz. Nur diesmal ohne mich. Stattdessen ein Schatten, undeutlich, fast verschwommen, aber – er trägt denselben Mantel wie ich.
I leg das Handy hin, die Fingerspitzen kalt. Hinterm Fenster zieht der Nebel übern Inn, grau auf grau, still, als würd er alles verschlucken, was zu klar wird.
Und dann fällt mir ein Name ein. Anna. Die mit der Kamera damals.
„Oida“, murmel i. „Ned du, bitte ned.“
Zwischenruf des Nebels
Der Wind rüttelt an der Tür, so dass sogar die Tassen zittern. Resi’s Nichte bringt Kuchen, merkt aber meinen Blick. „Alles in Ordnung, Herr Grantler?“ fragt sie. Ich nick, obwohl alles in mir schreit. Draußen verschwimmt die Straße, Autos nur Schatten von Licht. Ich zwing mich, hinzusehen. Für einen Moment glaub ich, jenseits der Scheibe eine Gestalt zu erkennen – Kapuze, Kamera in der Hand. Dann zieht der Nebel wieder dicht zusammen, wie ein Vorhang nach dem letzten Akt.
Ich steh auf, zahl, geh hinaus. Der Nebel frisst jedes Geräusch, selbst die Schritte. Nur manchmal meint man, ein Foto-Schließen zu hören, irgendwo im Grauen. Ich bleib stehn, lausch, doch da ist bloß mein Atem. Und trotzdem weiß ich, dass etwas – oder jemand – mit mir hier spazieren geht.
Zurück in meiner Wohnung schließe ich hinter mir zweimal ab. Auf dem Tisch klirrt die Tasse, weil mir die Hand zittert. Das Display vom Handy leuchtet im Dunkeln, der Schatten-Mantel drauf. Ich fang an zu schreiben, wieder, in mein Heft: „Vielleicht gibt’s Geister, die filmen.“ Darunter nur ein Fleck vom Kaffee. Und irgendwo, tief drunter, ein Stück Hoffnung, dass das Schreiben alles hält, was sonst verloren geht.
Letzter Gedanke der Nacht
Gegen Mitternacht geh ich nochmal ans Fenster. Der Nebel hängt tief überm Fluss, die Lichter tanzen in milchigem Halo. Irgendwo bellt ein Hund, einsam, fast wie Antwort. Ich blättere durchs Notizbuch, bleib bei dem Polaroid. „Sieh genauer hin.“ Also halt ich’s nah ans Glas, such im Widerschein mein eigenes Gesicht – und seh, dass im Schatten hinterm Paar wirklich eine dritte Gestalt steht. Ganz eindeutig jetzt. Nicht eingebildet. Und seltsam vertraut.
Ich leg das Bild nieder, schreib nur drei Worte: „Morgen. Ilz. Allein.“ Dann pfeif ich mir leise den Ton eines alten Wirtshauslieds, einfach, um das Schweigen zu vertreiben. Doch ehe der Vers zu Ende is, hör ich’s wieder – ein Klicken vom Handy, von selbst ausgelöst, als würd jemand anders die Kamera bedienen.
Ich schau hin. Das Display zeigt schwarz.
Und in der schwarzen Fläche meint man, für den Bruchteil einer Sekunde, ein Gesicht zu sehen – meins, aber älter, müder. Und hinter mir, verschwommen, die Umrisse einer Frau mit Kamera.
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