Grau in Grau
Bedeckt, sagt der Wetterdienst. Joa, des passt. Grau überall, als hätt da Herrgott selber die Farbtöpfe zugedreht. Drei Grad und a bissl Wind, der einem wie kalte Finger übers Gsicht streicht. Ich hock in meiner Küche, schau aus’m Fenster auf den Inn – träg, stumpf, und doch wia a Spiegel, fei. Da hängt’s Foto von gestern no am Kühlschrank. I darauf, und hinten dieser Schatten. I hab’s x-mal ang’schaut, oida, aba jedes Mal frag i mich: Wieso schaut der so vertraut aus?
Im Radio brummt irgendwas über a Verkehrssperrung. I schalt’s aus. Brauch koa Ablenkung – der Kopf is eh laut gnua. Das Klopfen von letzter Nacht… war echt. Die Kamera hängt jetzt auf’m Tisch, sauber abgewischt. Und dieser Zettel dazu: „Entwickel mich“. Ob der Kerl im dunklen Parker des gemeint hat? Oder ganz wer anders?
Die Luft in der Wohnung is schwer, wie wenn sie was verschwieg. I steh auf, geh zur Spüle, der Hahn tropft. Tock – tock – tock. Jeder Tropfen klingt wie an Schritt auf Kies. I schüttl den Kopf, mach mir a Kaffee, schwarz wia die Nacht vorm letzten Donner. Der Geruch weckt keine Wärme, nur Unrast. Zwischen Dampf und Gedankenschleier seh i kurz a Bewegung draußen, an Schatten an der Mauer gegenüber. Bloß an Hund, denk i – aber der Husarenblick bleibt hängen, weil die Silhouette zu still steht. Dann is sie weg.
„Reiß di zamm“, murmel i. Der Kaffee schmeckt trotzdem bitterer als sonst.
Ein seltsamer Brief
Der Umschlag vom Vortag liegt no neben der Kamera. Ich schau ihn durch, gegen’s Licht. Kein Zeichen, nix. Aber innen, in der Kante, fühlt sich was rau an, so als wär noch a Zettel eingeklebt. Mit’m Messer heb i’s leicht an – a dünner Streifen Papier, kaum drei Wörter: „Unter’m Steg.“
Mir zieht’s des Hirn zusammen. Der Fluss draußen glitzert fast spöttisch durchs Fenster, und i weiß, i werd eh wieder hingehn, auch wenn i mir vornehm, diesmal klüger zu sein. Der Grant hilft nix, wenn die Neugier zerrt.
Zum Gasslbräu runter
Resi schaut mi an, diesmal anders. Ned grantig, ned neugierig, eher so, als würd’s mir was ned sagen wollen. „Da Leitner war vorhin da“, sagt’s und wischt mit’m Lappen übers Holz. „Er wollt wissen, obst ihn gsehn hast.“ – „Hab i ned“, sag i, „warum?“ – „Weiß i ned. Aber er hat so gschaut, wia wenn er an Verdacht hätt.“
Der Alte am Stammtisch hebt glei an: „Verdacht hat er immer, der Leitner. Is sei Job.“ Dann lacht er trocken in sein Bier. Ich setz mi, bestell an Kurzen. A bissl Wärme schadet ned. Durchs beschlagene Fensterglas seh i drüben den Steg. Leer. Ruhig. Und trotzdem spannt sich da was in mir zamm, als hätt der Fluss was zum Sagen.
„Du,“ sagt Resi leiser, „der Umschlag, den du gfundn hast – war da wos drauf?“ – „Bloß des Übliche“, sag i, „Drohung, Schmodder. Nix mit Sinn.“ – „Dann pass auf di auf, gell. Da draußen spinnan manche scho bevor’s hell wird.“
Ich bleib länger sitzen als geplant. Der Kurze wärmt, aber mehr den Hals als die Seele. A Mann mit rotem Schal kommt rein, schaut rum, nickt mir zu. I kenn den ned, aber sein Blick bleibt auf mir kleben, zu lang. Er stellt sich an die Bar, tuschelt mit der Resi. Ich tu so, als würd i nix merken, doch die Reflexe sind schneller als die Vernunft – mein rechter Fuß tippt am Boden, ein sturer Takt. Als i aufsteh, schneidet mi die kalte Luft draußen gleich in die Backen.
Zwischenstopp am Brunnen
Der Weg zum Fluss geht vorbei am alten Marktbrunnen. Da tropft’s einfach so, seit Jahren. Und mittendrin liegt an zusammengedrückter Zettel, aufgeweicht, aber lesbar, grad noch: „Nicht jeder Schatten is leer.“ Ich heb ihn auf, trockn ihn mit’m Ärmel. Der Wind zieht an mir, leicht metallisch schmeckend, als käm er direkt aus’m Schacht unterm Brunnen. Des Gurgeln vom Wasser klingt fast wie Gelächter. „Schön, Kramer, jetzt halluzinierst scho Geräusche“, red i mir gscheid zu, aber die Gänsehaut bleibt.
Im Nebel droben am Steg
Bin später dennoch nauf. I kann koa Ruh gebn, du kennst mi. Wenn i was anfanga, dann bis i wiss, wos dahintersteckt. Der Steg war nass, vom Tau vielleicht. Nebel hängt in dünnen Fäden zwischen de Äste. Da, wo i die alte Kamera gfundn hab, liegt jetzt bloß a leeres Zigarettenpäckerl. Marlboro. Nebenan a nasser Schuhabdruck, halb verwischt. I beug mi runter. Größer als meiner. Und was glitzert da an der Kante? A kleines Stück Filmmaterial – zerknickt, aber lesbar: „36A“.
„Wos zum Teufel…?“ murmel i, steck’s ein. Hinter mir kracht’s im Gehölz. Nur a Ast, hoff i. Aber da Puls geht trotzdem rauf. Dann a Stimme – dumpf, undeutlich: „Lass’s Fotografiern, Kramer!“
I reiß mi um, nix z’seh. Nur Nebel und Wind. Wos i hör, is mei eigner Atem.
Ich bleib laa, vielleicht zu lang. Dann, als Nebel kurz aufreißt, glaub i a Bewegung zu sehn unten beim Wasser – a Tasche, versenkt halb, schaut raus wie a totes Tier. I geh nah hin, mit’m Fuß stoß i leicht dagegen. Schwer. A Metallverschluss blitzt auf. Aber bevor i zugreif, schwappt a Welle drüber. Der Fluss nimmt sie zurück, fast stolz. „Fei net heut“, murmelt i und spuck in’s Wasser, so’s wenigstens a Antwort kriagt.
Beim Rückweg hör i auf einmal an leisen Rhythmus, fast wia Schritte, die mir folgen. I geh schneller, die Schritte a. Dann no schneller – still. Wenn i schließlich umdreh, is da nur a Krähe, laut, frech. Aber unterm Steg… blinkt’s kurz, so als hätt wer an Taschenlampe eingeschaltet.
Ein Telefonanruf
Daheim scheppert’s, kaum dass i d’Jacke aufhäng. Die alte Drehscheibe rasselt, als wär sie selber aufgeregt. „Kramer?“, sag i. Nur Rauschen. Dann „Du siehst zu viel.“ – Klick, Ende. I bleib mit’m Hörer in der Hand stehen. Der Ton im Ohr bleibt, so’n Pfeifen, als hätt i grad Blitz abbekommen. I starr auf den Apparat, als könnt er gleich wieder lebendig werden.
Dahoam, gell?
Daheim leg i den Film untern Licht. Nur a winzige Szene drauf, der Rest schwarz. A schmale Silhouette. Könnt a Frau sei. Könnt Anna sei. Aber i trau meinen Augen nimma. Die Chemikalien vom Entwickeln dampfen, verziehen sich in der Luft wie alte Geister.
Dann klopft’s. Ned laut, aber rhythmisch. Drei Mal. Ich geh hin, schau durch den Spion – nix. Nur a weißer Umschlag am Boden. I heb’n auf. Drauf steht in krakeliger Schrift: „Der Fluss vergisst nix.“ Und drinnen – no a Foto. Leitner, am Ufer, im Profil. Und hinter ihm? Wieder der Mann im Parker. Nur… diesmal grinset er. Ganz leicht. Und i glaub, i seh denselben Hof im Hintergrund, den i täglich vom Balkon aus seh.
I sitz no lang am Tisch, das Bild vor mir. Der Rauch von meiner Zigarette kringelt si langsam, als würd er Wörter schreiben. I murmel: „Der Fluss vergisst nix, aber i hoff, er verzeiht.“ A leises Knacken aus’m Wohnzimmer lässt mi auffahren. Bloß der Holzbalken, red i mir ein. Trotzdem prüf i jede Ecke, bis i sicher bin. Nix. Nur die Uhr tickt – ungeduldig.
Nachtgedanken
Mir fällt auf, dass des erste Bild, des mit mir und dem Schatten, sich leicht verändert hat. Oder bild i mir’s bloß ein? Die Kontur vom Schatten scheint klarer, fast menschlicher. I nehm a Lupe, schau genau hin – in der Reflektion vom Hintergrund erkennt man jetzt a Hand, erhoben, Richtung Kamera. Die Hautstruktur ist körnig, aber vertraut. Fast so, als wär’s meine.
„Des gibt’s doch ned“, sag i leis. Mein Handy klingelt. Nummer unbekannt. Ich druck ab – beim dritten Versuch hob i ab. „Herr Kramer, hier Leitner. Wir müssen reden.“ „Worüber?“ „Über den Fluss. Und über Anna.“ Nur das Knistern danach. Dann legt er auf.
I bleib da, Herz stolpert. Anna – des letzte Mal hab i sie am Fluss gsehn, mit’m Parker-Mann, viel zu nah. Und seitdem? Weg. Niemand red drüber, keiner fragt. Aber i frag mich seit Monaten, ob sie überhaupt wirklich weg is.
Da Wind weht komisch
Ich häng das neue Foto neben’s alte. Zwei Männer, ein Schatten dazwischen. Des zieht sich wia a Spur durch mei Leben. Vielleicht sollt i endlich zum Leitner geh’n. Aber i ahn, dass er mir des ned glaubt. Und da Wind draußen – der wechselt plötzlich, bläst von der Ilz rauf. Bringt a Geruch mit, nach Metall und kaltem Wasser. I schwör, i hör sogar a leise Klick von ner Kamera, irgendwo unten im Hof.
„Fei“, sag i leis, „des war’s jetzt nimma nur Zufall.“
Zwischen Anruf und Morgengrauen
Die Nacht vergeht kaum. Immer wieder schlepp i mi zum Fenster, schau runter. Der Hof is leer, nur der alte Wäschepfahl steht schief. Aber bei jedem Windstoß, wenn der lose Draht surrt, klingt’s kurz, als würd’s einer Stimmgabel gleichen – hell, scharf, unheilvoll. Ich will schlafn, aber jedes Geräusch draußen lässt mich z’sammzucken.
Um vier in der Früh weckt mich der Summton von der Gegensprechanlage. „Wer is do?“, frag i, halb verschlafen. Nur Rauschen. Dann a Lachen – kurz, tief. I find den Schalter und druck drauf. Nix. Mein Blick fällt zur Küchentür, die is a Spalt offen. Hab i sie zugemacht? Mei Erinnerung schweigt.
I geh hin, schleich durch die Küche, das Linoleum eiskalt unter’m Fuß. Am Tisch liegt der Filmstreifen, den i gestern eingerollt hatt. Offen. Jemand muss dran gwesen sei. In der Mitte a Fingerabdruck – fett, fremd. I schau auf meine Hände, dann auf den Abdruck. Zu groß. „Na herrgott, Kramer, jetzt fangst an, wia a Detektiv in a schlechte Serie“, denk i, aber i nimm trotzdem an Abdruck ab mit’m Tesafilm. Alte Gewohnheit, bleibt halt.
Neubeginn im Müllraum
Am nächsten Tag geh i runter, Müll rausbringen. Von ganz oben, im dritten, is des immer a halbe Expedition. Drunten riecht’s muffig, naja logisch. Aber was ned logisch is: neben den Containern steht a Stativ. Mein Stativ. Verkratzt, aber eindeutig meins. Drauf klebt a Notizzettel: „Du lässt Spuren.“
I bleib wie versteinert. Dann die Tür – schlägt zu. Von selber. Kein Luftzug. A Schatten huscht zwischen die Mülltonnen. I renn nauf, zwei Stufen auf einmal, schwör i. Im Treppenhaus hallt jeder Schritt wie Trommelschlag.
Oben schnapp i nach Luft, greif nach’m Schlüssel. Der Wind durchs offene Fenster trägt a Flüstern rein, kann auch bloß Windspiel sei, und doch klingt’s wia: „Schau hinunter.“
Ich tu’s. Drunten am Hof steht wer. Schwarzer Parker, Kapuze. Er hebt die Hand – a Geste, so ruhig, unerträglich ruhig. Und Ding: Klick.
A Blitz ohne Licht. Bloß des Geräusch. Dann is er weg.
I lehn mich gegen die Wand, zitter wia a altes Blatt. „Na, Kramer“, sag i zu mir selber, „du wolltest a Geschichte im Nebel – jetzt bist Teil davon.“ Draußen setzt Regen ein, fein, fad, gleichmäßig. Der Wind dreht sich wieder. Und vom Fluss herauf kommt a Summen, a langgezogenes, das irgendwann in meinem eigenen Rauschen untergeht.
Am Ende denk i: Vielleicht vergisst der Fluss wirklich nix. Und wenn er sich was merkt, dann bist du besser still, bevor er zurückspricht.
Des Klick der Kamera hallt in mir nach – kein Echo, sondern a Versprechen.
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