Kalter Dunst
Es war dämmrig, so a g’schlampertes Grau zwischen Nacht und Frühmorgen. 0,5 Grad, der Wind traut sich kaum über den Inn. Ich steh am Fenster und schau in die feine Suppe da draußen – wia a verbrühter Atem vom Fluss. Kein Mensch, nur das alte Treppengeländer quietscht leise, als würd’s wen tragen, der net da is.
Auf dem Tisch liegt die Kamera. Die, die mir einer vor die Tür gehängt hat. Schwarzes Gehäuse, a bisserl klebrig vom Wasser. Daneben der Zettel – „Entwickel mich“ – mit so einer sauberen, geschwungenen Schrift. Keine Schmiererei. Das lässt mich mehr frieren als das Wetter.
Ich zieh den Film raus, ruf beim alten Fotoladen in der Spitalstadt an. Der Bursch dort, jung und grantig wie i früher, meint: „Kumm, i mach’s dir fix. Aber wenn was Blöds droben is, sag i nix.“
Fei, das is Haltung.
Ich setz mich wieder ans Fenster. Der Wind hebt kurz an und schiebt den Nebel ein Stück die Straße rauf. Dahinter taucht für einen Moment das Schild vom Uhrmacher auf. Das Ticken von drinnen klingt durch die Wand, schleppend, fast wie ein fremdes Herz. Ich atme tief ein. Der Geruch von Metall und Stein, dieser schlichte, kalte Geruch, der mich seit Wochen nicht loslässt.
Eine Krähe landet auf der Fensterbank. Krummes Viech, schaut mich an, als wollt’s was sagen. Ich heb die Hand, sie flattert fort, ein dunkler Fleck im hellgrauen Dunst. Vielleicht hat sie den Zettel erst bemerkt – oder mich, wie ich daneben sitz und die Welt abtast, als hätt sie einen Riss.
Ich denk an Anna, ständig taucht sie in diesem Nebel auf. Ihr Lachen, kurz, rau. Die Zigarette, die nie ausgegangen ist. Und jetzt: nix mehr außer den Löchern, die bleiben.
Der Weg über die Brücke
Ich brauch frische Luft, also rüber über die Marienbrücke. Passau atmet leise, noch halb im Schlaf. Überm Wasser zieht a dünner Rauchfaden – oder Nebelreste, wer weiß das schon. Ein Hund, irgendein Mischling, schnuppert am Geländer, hebt kurz den Kopf, schaut mich an, als wüsst er was. Dann trabt er weiter.
Ich halt kurz an, weil was blendet. Im Fenster da drüben, beim alten Bootshaus, da flackert a Licht, rhythmisch fast. Dreimal hell, Pause, zweimal. Ich schreib mir’s in mein kleines Notizbuch: 3–2. Keine Ahnung, warum. Aber das Muster, das zieht sich durch meine letzten Nächte wie ein schiefes Lied.
Ein älterer Fischer, Zwickl, stapft den Weg runter. „Wieder so früh unterwegs, Kramer?“ fragt er, die Pfeife halb gelöscht im Mund. Ich nick nur. „Der Fluss, der red’ scho wieder, gell.“
Ich tu so, als würd ich’s net hören. Aber im Wind, ganz leise – ein Plätschern, rhythmisch, fast wie Schritte.
Das Bootshaus im Dunst
Unten am Ufer bleib ich stehen, genau da, wo der Pfad in so a matschige Senke führt. Mein Schuh versinkt bis zum Rand, und ich fluch kurz. Der Nebel bricht dort auf, wo das Bootshaus steht. Bretter, feucht, von Algen überzogen. Neben der Tür hängt eine alte Lampe, kein Licht mehr drin. Nur das glimmert, was vorhin von drüben gekommen ist – als Erinnerung.
Ich hör Schritte – aber net von der Brücke, sondern näher. Holz auf Stein. Jemand geht im Bootshaus herum. Dann Stille. Keine Motoren, kein Klatschen von Ruder. Nur so ein dumpfes Rumpeln, als würde jemand Kisten schieben. Ich ruf: „Hallo? Wer is da?“ Der Klang von meiner Stimme verschluckt sich sofort. Keine Antwort, bloß der Fluss, der wie immer tut, als wüsst er nix.
Ich nehm den Notizzettel raus und schreib noch einen Strich drunter. 3–2–? Vielleicht war da heut Nacht mehr als nur Licht.
Wirtshausgspür
Später im Gasslbräu. Resi steht am Zapfhahn, schüttelt den Kopf. „Du schaust aus, als hätt’st d’Nacht draußen verbracht.“ Ich grimm. „Fast. Einer fotografiert mich in meiner eigenen Wohnung, du kennst ja mei Glück.“
„Die Polizei is gestern da g’wesn.“
Ich schau sie an. „Leitner?“
Sie nickt, zieht Lipp’n schmal. „Er wollt wissen, ob du g’wen bist mit der Kamera. Und irgendwer hat ihn angerufen. Anonym. Hat g’sagt, du hättst die letzte Aufnahme von der Frau.“ Sie meint die Tote, die an der Ilz lag. Ich spür, wie mir das Weißbier plötzlich anders rutscht.
„Hat er was g’sagt?“ frage ich, leise. Resi wischt am Tresen. „Nur: ‚Frag ihn, wer ihn fotografiert hat, dann weiß er, was er sucht.‘“
Ich sag nix. Nur, dass’s zieht, auch drinnen, und der Wind durch die Tür pfeift wie durch leere Rahmen.
Ich bleib länger als üblich. Neben mir hockt der Sägewerks-Sepp, der redet sowieso mit jedem, der noch Ohren hat. „Da Kramer,“ sagt er, „du host a Pech, gell. Immer, wenn’s kalt wird, zieht’s di zu so Sach hin.“ Ich nick, geb nur ein „Hm“ von mir. Der Ofen knackt. Holzgeruch mischt sich mit kaltem Bier und Bratfett. Heimelig wär’s, wenn nicht hinterm Fenster dauernd was vorbeiziehen würd – Schatten, die gar net da sein dürften. Und draußen, da blinzelt wer, glaub ich.
Ich tu so, als würd ich auf meine Notizen schauen. In Wahrheit beobacht ich die Spiegelung an der Flasche. Bewegung, grad da, wo die Gass runterführt. Zwei Gestalten? Nur eine? Eh wurscht, denk ich. Aber dann hör ich Resi flüstern: „Kramer, des is a Frau. Schau hin.“
Ich dreh mich langsam um. Das Glas beschlägt. Und tatsächlich, vor dem Wirtshaus steht eine Gestalt, ganz still. Kapuze tief, Hände gefaltet. Sie schaut direkt rein. In dem Moment kräht irgendwo ein Hahn. Ich blinzle, und sie is fort. „So was gibt’s doch net,“ murmel ich.
„Bei uns gibt’s alles,“ meint Resi trocken und zapft nach.
Ein Brief aus der Vergangenheit
Wie ich zahlen will, steckt sie mir noch was zu. „Kam heut früh, bevor du da warst. Für dich.“ Ein kleiner Umschlag, gelblich, die Ecken eingedrückt. Auf der Rückseite nur ein einzelner Buchstabe: A. Kein Absender. Ich reiß ihn auf. Innen: ein Fotostreifen, vier kleine Negativbilder. Bloß auf einem erkennt man was – ein Ufer, das wie der an der Ilz ausschaut, und ein weißer Punkt mitten drauf. Ein Gesicht vielleicht.
„Kennst des?“ fragt Resi.
„Naa“, sag ich. „Aber i glaub, i muss wieder zum Fluss.“
Heimweg durch die Gass
Die Stadt dampft leicht, fast feuchtsüß vom Tau. Ich geh durch die enge Gass hinterm Dom. Die Laterne flackert, klar, wia immer wenn i nervös bin. Unten am Pflaster spiegelt sich mein Schatten – aber nur einer? Nein. Daneben ein zweiter, undeutlicher. Ich bleib stehn. Dreh mich. Nix. Nur ein Rascheln, vielleicht vom Papier oder vom Wind.
Als ich daheim ankomm, steckt was im Türrahmen. Ein alter Schlüssel, verrostet. Hängt an rotem Faden, dran ein Zettel: „Für den Raum hinter der Vorratskammer.“ Ich schwör, da gibt’s gar koan Raum. Nie g’sehn.
Ich leg das Ding auf den Küchentisch, starr drauf, als wär’s a Schlangenei. Der Fluss rauscht draußen ganz ruhig, fast freundlich – aber i kenn das Lied. Wenn er so ruhig is, dann führt er was im Schilde.
Ich sitz da, trink Tee, schau auf den Schlüssel. Die Wohnung is still. Kein Tropfen, kein Knistern. Nur mein Atem. Ich steh auf, geh zum Vorratskämmerl, wisch mit der Hand über die Wand. Putz bröckelt bissl ab. Und dann: ein feiner Stoß kalter Luft. Ich drück fester – und tatsächlich, da is a schmale Fuge, kaum sichtbar. Ich fluch leise. „Na, Kramer, jetzt fangst aa no zum Spinnen o.“
Der verborgene Raum
Ich nehm a Schraubenzieher, heb den Putz an. Ein Stück Wand bröckelt ab, und da is a Metallkante. Ich zieh dran. Es knackt, und plötzlich öffnet sich ein Riegel nach innen. Dahinter a Tür, schmal, rostig – als hätt sie seit Jahren niemand aufgmacht. Ich probier den Schlüssel. Der passt, natürlich. Langsam dreh ich, und die Tür gibt nach.
Innen is Finster. Nur mein Handylicht. Eine Kammer, kaum größer als ein Schrank. Wände aus Ziegel, feucht. An der hinteren Ecke steht ein altes Regal. Darauf: Kisten mit Filmen, beschriftet, alle gleich: „Keller 4 – Serie B.“ Ich zieh eine raus. Drin Dia-Streifen, jede mit einem Datum, jede Nacht nebeneinander. Ich nehm eine Lampe vom Arbeitstisch her, schalt sie ein. Auf den Bildern: der Fluss, immer von derselben Stelle. Nur, dass je später das Datum, desto näher kommt irgendeine Gestalt ans Ufer. Und beim letzten Bild schaut sie direkt in die Kamera. Gesicht unscharf, aber ich schwör, das is Anna.
Mir wird so kalt, dass mir das Handy fast aus der Hand rutscht. Ich hör von draußen das Knacken der Bodendielen im Wohnzimmer. Langsam zu. Ich darf net laut atmen. Dann, ein Schatten unter der Tür zur Küche – einer, der langsam drüberschleicht, als würd wer überlegen, ob er reinkommt.
Ich stell das Licht ab. Warte. Der Schatten bleibt. Dann: Geräusch vom Fenster. Klick. Als hätt jemand grade ein Foto gmacht. Ich halt die Luft an. Ein paar Sekunden. Dann Stille. Und irgendwann trau ich mich, die Kammer wieder zuzumachen. Der Schlüssel bleibt im Schloss. Ich greif nur noch, zittrig, nach meiner Jack’n.
Der Film kehrt zurück
Wie ich später die Tasche vom Fotoladen aufmach, riecht’s erst nach Chemie, dann nach altem Keller. Drei Abzüge. Erster: mein Treppenhaus, unscharf, aber eindeutig. Zweiter: Das Bootshaus vom gegenüberliegenden Ufer. Licht, dreimal – Pause – zweimal. Ich hatte also recht. Dritter: Eine Tür. Metall, leicht offen. Auf der Rückwand: eine verblasste Aufschrift – „Keller 4“. Ich geh nochmal zurück zum Schlüssel. Da steht in winzigen Lettern dasselbe.
„Entwickel mich“, hat’s gheißen… vielleicht meint’s gar net den Film.
Ich setz mich an den Küchentisch, breit alle drei Abzüge aus. Auf dem ersten, der Schatten im Treppenhaus – da, wo eigentlich niemand stehen könnt. Beim zweiten, wenn man’s genau anschaut, spiegelt sich im Wasser noch ein weiterer Schein, schwach. Das wär der Moment, wo einer fotografiert hat, der über mir gestanden sein muss. Und das dritte Foto – die Tür – die is jetzt zu. Auf dem Abzug offen, hier verschlossen. Wie kann das sein?
Ich greif zum Handy. Wähl die Nummer vom Leitner. „Hören S’ zu,“ sag ich. „Ich hab was gefunden. Keller 4, sagt Ihnen das was?“ Stille. Dann: „Bleiben S’, wo S’ san, Kramer. Ich komm gleich.“ Ich seufz. „Net, dass’s wieder zu spät is.“ Die Verbindung bricht ab.
Ich hock in der Küche, das Licht aus, nur die Schreibtischlampe flackert. Draußen heult der Wind, bringt den Rotfaden vom Schlüssel in Bewegung. Das Klappern is fast wie ein Morsezeichen, immer 3–2. Ich schreib’s auf den Tischrand, mit’m Fingernagel, als Erinnerung. Drei kurze, zwei lange. Ein SOS, oder a Gruß. Vielleicht von ihr.
Warten auf Leitner
Nach zwanzig Minuten is immer noch keiner da. Ich geh ans Fenster, zieh den Vorhang nen Spalt zur Seite. Unten im Hof steht ein Auto. Motor aus. Rauch aus’m Auspuff. Jemand sitzt drin, regungslos. Ich greif zur Taschenlampe, leuchte kurz runter. Scheibe spiegelt zurück. Nur die Umrisse. Vielleicht der Leitner. Oder der andere.
Ich setz mich auf die Sofakante. Der Boden knarrt wieder, diesmal aus der Kammer. Ich schau rüber – die Tür steht offen, obwohl ich sie zugemacht hab. Ich schwör’s. Der Schlüssel gleitet langsam von der Tür, fällt klirrend auf die Fliesen. Alles zieht kalt. Ich steh auf, geh hin – und hör meinen Namen. Ganz leise. „Kramer…“
Ich dreh mich um. Niemand da. Die Fotos liegen auf dem Tisch, aber eins fehlt – das mit der Tür. Stattdessen liegt da ein neuer Zettel: „Nicht nur der Fluss trägt Schatten.“ Schrift dieselbe wie vorher.
Mir bleibt nix außer der dicke Grant im Hals. Ich nehm die Jack’n, den Schlüssel, und den Zettel, pack alles ein. Draußen hebt sich der Nebel, und drüben am Ufer steht wieder wer. Dunkler Parker, unbeweglich. Kein Blitz diesmal, kein Klick – nur ein leises Pfeifen, als ob einer auf den Wind antwortet.
„Na warte, Burschi,“ murmel ich. Und greif nach meiner Jack’n.
Der Fluss unten rauscht gleichmäßiger, und irgendwo dazwischen meint man fast, eine Stimme zu hören – ganz leise, weiblich. „Anna“, sagt sie. Oder ich bild mir’s ein. Nur diesmal klingt’s, als hätt sie was zu sagen, das ich noch net hören soll.
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