Am Fenster
Bedeckt. So wie i selber. Grau über’m Fluss, a leiser Wind, grad genug, dass er durchs gekippte Fenster pfeift. I hock dahoam, die alte Kamera vor mir auf’m Tisch. Das Ding hat a Seele, i schwör’s dir. Oder a Fluch.
Der Zettel drunter – „Entwickel mich“ – liegt da, schaut mi an, wie a Hund, der bettelt. Hab mir glei no an Kaffee reing’stellt, a stark’n, schwarz wia d’Nacht. Dann, mit’m Mut eines Narren, rück i die Filmklappe auf. Leer. Kein Film drin. Oida. A billige Drohung – oder a raffinierte.
I bleib nach dem Misserfolg länger hock’n, als gscheit wär. Der Wind treibt kleine Tropfen gegen die Scheibe, und irgendwann fang i unbewusst zum Zählen an – eins, zwei, drei – immer wenn’s klack macht, wie vom Fensterrahmen geschubst. I merk, i fang unterm Tisch das Zittern an, net weil mir kalt is, sondern weil i zuviel nachdenk. Und wenn i zuviel denk, fang i zum Zweifeln an. An der Welt und an mir selber.
Manchmal red i in Gedanken mit der Kamera. Irgendwie gspür i, dass sie mehr weiß, als sie zeigt. A blöde Vorstellung, i woaß. Aber i hab glesen, dass Metall Dinge speichan kann, Schwingungen, so in der Art. Vielleicht is des da aa so a Fall. Die Kamera hat Geschichten gsehn, bevor i sie gekriegt hab. Vielleicht zeigt’s mir irgendwann eine davon.
Noch während der Kaffee abkühlt, überlegt i, ob i wen fragen soll. Aber wem? Leitner war der Letzte, der damit was zu tun ghabt hat, und bei dem is immer alles heikel. I schau die Kamera no amoi an und red leise: „Na, dann samma zwoa, die nix wissen.“
An der Wand hängt das Bild von Anna. Aufgenommen vor drei Jahren am Ilzsteg, im Frühling. Alles hell, alles leicht. I krieg a dumpfes Ziehen im Bauch und dreh’s um. Es is net, dass i’s ned sehen mag. Aber manchmal is’s leichter, wenn man nix sehen kann.
Draußen hampelt a Möwe im Wind, kämpft, als tät er’s persönlich a bissl auf d’Probe stellen. I nick ihr zu – ja, Schwester, i kenn’s.
Die Stimme aus dem Flur
Kurz vor Mittag, grad wo i denk, i könnt endlich abschalten, knarzt was im Hausgang. Schuhsohlen. Kein Postbote. Der geht zackiger. Des hier is a Stapfen – bedächtig, fast wie zählend. I bleib still, hoff, dass der- oder diejenige einfach weitergeht. Aber’s tut keiner.
„Herr Kramer?“ a leise Frauenstimm. Ich horch. Niemand nennt mi so, außer offizielle Leit. „Ja?“ – „Da is was für Sie abgegeben worden.“
I geh zur Tür, mach grad so weit auf, dass i durch die Spalt lug. Eine ältere Nachbarin steht da, blass vom Treppenlicht. Sie hält a Packerl, klein, in Zeitungspapier eing’wikkelt. „Lag einfach vor meinem Korridor. Ihr Name drauf. Hab gmeint, bevor s’wer mitnimmt.“
„Danke“, sag i, nehm’s vorsichtig. Sie nickt, trabt davon – Schuhe quietschen auf’m Linoleum, bis’s ganz still is.
Auf’m Tisch leg i das Ding neben die Kamera. Zeitungspapier ausm Vorjahr. Drin: ein Stück Kabel, abgeschnitten, und a Zettel: „Für d’Enthüllung brauchst a Leitung.“ I lach kurz, so a leeres, trockenes Lachen. Wenn’s a Witz is, isser gar net so schlecht. Aber was soll des heißen? Leitung. Entwickeln. Fotografieren. Vielleicht Elektrik. Vielleicht Ironie. Vielleicht a Warnung.
Ich schieb das Packerl beiseit, drück den Laptopdeckel zu. Es bringt nix, i brauch frische Luft.
G’schwind zum Gasslbräu
I bin später naus, durch d’Altstadtgassen, Kopfsteinpflaster glitschig vom feuchten Wind. Bissl Dunst hängt zwischen die Häuser, als hätt da liebe Gott g’raucht. Bei Resi im Gasslbräu war’s warm, aber komisch still. Nur zwei alte Herren am Stammtisch, einer liest Zeitung, der andere tut so, als hätt er’s grad erst lernen müssen.
„Bist wieda unterwegs g’wen, he?“, fragt Resi. „Hast den Leitner gsehn?“
„Naa, aber er wird eh wieda kumman. Wenn i nimma mag, dann steht er bestimmt auf der Mat’n.“
Sie schaut mi lang an. „Des mit der Kamera – i hab gehört, beim Polizeiposten is a ähnliches Model aufgetaucht. Alt, Filmdingsbums, alles. Vielleicht hängt’s z’samm, gell?“
„Vielleicht“, sag i, „oder irgendwer spuit mit uns zwoa.“
I trink mei Bier, das Glas schwitzt unter meiner Hand. An der Wand hängt das alte Foto vom Wirtsgarten an nem heißen Julitag, alles in Sepia. I starr drauf, bis die Linien flimmern. „Resi,“ sag i nach a paar Minuten, „wenn einer Bilder macht von Sachen, die er gar ned gsehn hat – was wär des dann? Vision oder Spinner?“
Sie lehnt sich über die Theke. „Kommt drauf an, ob er Angst kriegt oder stolz wird.“
Mir bleibt die Antwort stecken. I spür, wie a Tropfen von der Regenjacke über den Hals rinnt, kalt wie Metall.
Der eine Alte hebt dann plötzlich den Kopf und murmelt: „D’Buidl san schneller, als ma meint.“ Ich will grad fragen, was er meint, aber er glotzt nur durch mi durch, als war i Luft.
No bevor i mi verabschied, drückt Resi mir a altes, kleines Notizbuch in die Hand. „Hat da einer gestern vergessen. Vielleicht brauch’s wer.“ Auf der ersten Seite: Nur zwei Wörter, kraklig: Ilzsteg – Rückseite.
Zwischenstopp am Fluss
Draußen, glei wieder Wind ins Gsicht. I geh runter zum Fluss, weil i eh dort vorbei muss. Der Himmel noch immer mausgrau, der Dunst dichter. Auf’m Weg denk i an Leitner. Früher war der mein Kompass. Jetzt is er a Frage. Wenn die Welt so sanft lügt, wie a überbelichtetes Foto, dann muss man auf Schatten achten.
Hinterm Bootshaus bleib i steh. Da liegt a halber Vogel, Regen tropft drauf. I reich automatisch nach der Kamera – als müsst i’s festhalten. Aber i lass’s dann. I brauch keine toten Vögel mehr im Kopf.
Draußen am Ilzsteg
Am Nachmittag, der Himmel noch immer mausgrau, bin i wieder zum Steg. Weiß auch ned recht, warum. Vielleicht wollt i nur nachschaun, ob der Wind die Spuren verweht hat. Hat er ned. Nur a paar frische Fußtritte neben der alten Absperrung. Größe 44, sag i so für mi. Männerfuß. Ziemlich auffällig.
Dann – klick. Ganz leis. Aber i hab’s g’hört. I bleib steh. Kein Mensch zu sehn. Nur der Fluss, der hockt da unten und tut so, als wüsst er nix. I dreh mi rum, nix. Doch auf’m nassen Geländer pickt was. A Stück Film, gleich erkennbar, eingerollt. Mein Herz klopft plötzlich schnell – wie damals, wo i in München g’studiert hab und der Prof mi fragt hat, was i überhaupt in der Fotografie such.
Grad wollt i das Ding einstecka, da hör i hinter mir Schritte. Leitner. Natürlich.
„Des musst du endlich lassen“, sagt er. „Du bringst di bloß selber nei.“
„Und du?“, sag i grantig, „du hast dich letztes Mal selber auf’m Foto gfund’n.“
Er zuckt. Ganz kurz, aber i seh’s. Dann streckt er mir a Plastiksackerl hin. „Wennst’s entwickelst, gib’s mir zuerst. Bitte.“
Er bleibt danach länger stehen, als i denk. I schau net hin, aber i hör, wie er mit’m Schuh auf dem Steg scharrt. „Die Wahrheit is nimma auf Papier,“ murmelt er. „Die liegt bloß in dem, der draufschaut.“
„Du redst in Rätseln, wie immer,“ sag i.
„Manchmal muss ma das, wenn ma wem schützen will.“ Dann geht er. Der Wind trägt seine letzten Worte fort – oder bildet i mir’s nur ein? – „Sie war schneller als du.“
Ich bleib allein, mit dem leisen Klatschen vom Wasser und dem Gefühl, dass mein Schatten mir grad davongegangen is.
Erinnerung unter’m Steg
I knie mich hin, greif unters Geländer. Da steckt zwischen Moos und Plastikmüll a zweiter Fetzen Film. Kleiner als der andere, aber belichtet. Und auf der Rückseite – eingeritzt mit a Nadel – zwei Buchstaben: „AK“. Mir fährt’s Schaudern über’n Rücken. Anna Kramer. I hab nie gmeint, i würd des Kürzel noch am Leben finden.
Der Regen fängt wieder an, diesmal stärker. Ich steck die Stücke ein, nehm mir vor, daheim Licht draufzuwerfen – wenn i mutig genug bin.
Dahoam mit Dunkel
Zuhause, später. Fenster beschlagen, Luft dumpf. I sitz vorm Laptop, schreib, wie a Depp eigentlich, aber’s hilft. Der Film liegt vor mir, eingehüllt, als wär er’s wert, dass ma ihm Respekt zollt. Doch i hab mich an d’Sätze vom Leitner halt’n: erst ihm. Also ruf i ihn an.
Er hebt net ab. Natürlich ned. I schnauf, schau naus. Der Inn zieht langsam vorbei, grau wie Blei.
Da flackert was am gegenüberliegenden Ufer. Nur kurz. A Lichtpunkt, fast wie a Taschenlampe. Dann no a zweiter, weiter droben. I schau, bis die Augen weh tun, aber es verschwindet wieder. Kein Mensch, kein Geräusch. Nur das zähe Summen vom Kühlschrank.
I denk mir – vleicht Anna. Und sofort hasst i mi dafür, dass i’s denk.
I leg die Kamera beiseit, tantel in die Küche, such was Hochprozentiges. Der erste Schluck brennt, der zweite wärmt. Die Dunkelheit kriecht an die Wände, so fein, dass man sie erst merkt, wenn’s zu spät is.
Im Spülbecken liegt die Tasse von heut früh. Ein Haar hängt dran. Hellblond, dünn. Ich hab keins, das so ausschaut. Ich starr’s an, wie in Trance. Da fällt mir auf, dass die Wohnung riecht – leicht nach Parfum, aber alt. So, wie’s nach langen Tagen in Jacken hängt. Ein Rest Erinnerung.
„Anna?“ flüstert’s in mir, aber laut kommt nix raus.
Zimmer voller Schatten
Ich geh durchs Zimmer, Schubladen zu, Schranktür auf. Alles da, nix fehlt. Oder vielleicht doch zuviel da. Auf’m Küchenboden kleine Tropfen, getrocknet. Kaffee oder was Dunkleres. Ich folg der Spur bis zum Balkon. Tür leicht angelehnt. Ich schwör, i hab sie zu ghabt.
Draußen peitscht der Regen, und die Stadt klingt fern. Ich hör den Zug von Passau nach Wien hupen. Dieser Ton war immer ihr Lieblingsmoment, hat sie mal gsagt. „Da weißt, alles bewegt sich, während du stillstehst.“ I könnt schwörn, i hör sie’s sagen, genau jetzt.
I lehne mich gegen den Türrahmen. Vielleicht bin i narrisch. Vielleicht fängt’s jetzt an.
Da liegt no was
Am nächsten Morgen geh i mit’m Auge auf’m Fensterrahmen ins Bad rüber – und bleib steh. Auf meiner Schwelle liegt a Foto. Frisch. Noch feucht vom Tau. Ich selber drauf, am Fenster, in derselben Haltung wie grad. Nur: hinten im Spiegelbild steht einer neben mir. Unscharf, aber deutlich. Dunkler Parker. Die Hand auf meiner Schulter.
I gfrei mi richtig, dass der Kaffee zur Neig geht. Jetzt brauch i was Härteres.
Als i wieder raus will, liegt unterm Foto a kurzer Satz: „Er traut dir nimmer.“
Was für a verdammt guade Morgengruaß, gell?
Letzte Notiz unterm Becher
Später, grad wo i den Schlüssel such, find i unterm Kaffeebecher a eingerolltes Stück Papier. Gleiche Schrift wie auf’m Zettel vormals: schmal, unruhig. „Wenn du wissen willst, warum er dir nimma traut – geh bei Nacht.“ Kein Ort. Keine Uhrzeit. Nur das. Ich krall das Papier fester, bis’s Falten wirft.
I spür, wia der Wind durch den Spalt im Fenster weht, allmählich kälter. Und i denk: Manchmal fangt die Wahrheit genau dann an, wenn man aufhören möcht.
Hinterm Fenster läuft grad ein Tropfen Regen die Scheibe runter. Genau dort, wo gestern das Licht aufblitzt is. Ich folg ihm mit’m Finger. Er zieht a krumme Linie, verlauft, verschwindet. Und i weiß: Irgendwer hat das Foto net einfach da gelassen – er hat’s so hingelegt, dass es gsehn wird.
Jetzt kann i nimma umdrahn. Und wenn’s wahr is, was auf dem Zettel steht, dann bin i längst in der Geschichte drin — ganz ohne Ausweg.
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