Am Fenster
Bedeckt, sagt der Wetterbericht. Pah. Für mich schaut’s aus, als hätt sich der Himmel einfach verkrochen. Grau, fad – wia a Tag, der nix werden will. Ich steh am Fenster, schau runter zum Inn. Der Wind? Kaum spürbar. So still, dass ma glaubt, die Luft hält den Atem an. Vielleicht, weil’s was sieht, was i net sehen soll.
Auf’m Tisch – die Fotos. Drei Stück. Eins davon zeigt mich wieder. Und das is des, was mir den Magen umdraht. I steh da am Steg, allein, aber wer hat des geknipst? Ich war’s net. Und Leitner? Wenn der was weiß, dann spielt er’s gut runter.
„Jetzt ruhig bleiben, oida“, murmel ich zu mir selber. Hilft nix, aber klang wenigstens stabil.
Ich streck mich ein wenig und drück die Stirn gegen die kalte Scheibe. Draußen zieht ein einzelner Vogel seine Bahn – zu früh oder zu spät für die Jahreszeit, schwer zu sagen. Unten am Kai bewegt sich jemand, langsam, fast so, als wollt er sich nicht zeigen. Ich blinzel, versuch klar zu sehen, aber gleich darauf is die Gestalt weg, verschluckt vom Grau.
In mir zieht sich was zusammen. So ein Druck, wenn die Erinnerung sich rührt. Es is, als würd jemand ganz leise auf einer alten Orgel spielen, grad nur so viel, dass du die Schwingung spürst. Irgendwie hängt des alles mit damals z’samm, denk ich. Mit Anna, mit den Nächten, wo ma z’samm gstandn sind und ned g’wusst ham, ob’s morgen überhauft Sinn hätt. Ich lach kurz, bitter. „A Depp, der glaubt, die Vergangenheiten bleim, wo ma’s hocken lässt.“
Langsam geh ich vom Fenster weg. Die Fotos schnapp ich mir, leg sie in die kleine Blechdose, die früher Münzen gesehen hat. Jede Bewegung ist wie durch Watte. Der Kaffee in der Tasse is längst kalt. „Na schön“, sag ich halblaut, „wenn’s wer auf eine Show anlegt – i bin dabei.“
Im Gasslbräu
Resi lehnt am Zapfhahn, wischt eh schon zum fünften Mal übers Holz. „Du schaust aus, wia wenn’d an Geist gsehn hättst“, sagt sie.
„Wenn’s bloß einer wär…“ sag ich und schieb mein Glas weg. Sie schaut mich an, der Blick – halb Sorge, halb genervt.
„Leitner war da in der Früh“, sagt sie. „Hat gfragt, obst wieda a Umschlag kriegt hast.“
„Noch net. Aber warts nur. Irgendwer spuits gern Fotograf mit mir.“
Da klatscht draußen was. Ein dumpfer Ton, wia’n Deckel auf’m Fass. Resi zuckt. „Wind is keiner“, sagt sie leise.
„Na. Aba a schware Luft, fei.“
Ich leg zehn Euro hin, geh raus. Im Hof riecht’s nach Metall und feuchtem Holz. Ein Stück Papier klebt an der Mauer. Foto. Mein Hausflur. Gestern Nacht.
Ich bleib stehen, das Herz fängt zu hämmern an. Resi kommt nach – „Was isn jetzt scho wieda?“ – aber i heb nur die Hand, will nix hören. Auf dem Foto erkennt man die Tapete, den alten Haken, sogar den Schirmständer. Und mittendrin a Schatten, halb menschlich, halb Nebel. Ich riech den Entwickler förmlich, dieses säuerliche Etwas, das immer in meiner Nase bleibt, wenn ich früher in der Dunkelkammer gstanden bin. „Des is net alt“, sag ich leise. „Ganz frische Chemie.“
„Vielleicht a blöder Scherz, hm?“ Resi greift über meine Schulter, zieht den Kopf zurück. „Oder an Spinner.“
„Spinner ham selten so a ruhige Hand.“ Ich steck das Bild ein. „Wenn du den Leitner siehst, sog eam, dass i net weglauf. Aber dass i vielleicht was find.“
Resi nickt, aber ihr Blick verrät, dass sie’s bereut, überhaupt gfragt zu haben. Ich dreh mich um, spür noch den Geruch von Bratfett aus der Küche und den heißen Atem von der Kaffeemaschine, und geh dann durch den Hinterhof. Die Stadt wirkt kleiner als sonst, die Gassen enger. Jeder Schritt hallt doppelt.
Alte Erinnerungen im Regen
Weil’s auf einmal leicht anfängt zu nieseln, duck ich mich unter ein Vordach. Des Tropfen klingt, als würd jemand tippen – ungeduldig. Ich nehm mein Handy raus, scroll reflexartig durch alte Fotos. Anna am Steg. Anna lacht. Anna im Schatten. Mir fällt auf, dass bei jedem Bild was fehlt: ein winziger Ausschnitt, als wär was rausgeschnitten. Diese Lücke brennt sich ein wie Salz in Wunden. „Wer immer des macht“, denk ich, „kennt mi besser, als mir lieb is.“
Beim Steg
Ich mach den Weg runter zur Ilz, braucht frische Luft – oder Mut, wia ma’s nennt. Die Stadt dampft. Kein Nebel, eher Dunst, dick und muffig. Die Bäume am Wasser hocken blass da, wie eingefroren.
Ein paar Meter vor mir steht einer. Bewegungslos, Hände in den Taschen. Dunkler Parker. Könnt der Neue aus’m Wirtshaus sein. „Oida“, denk ich, „wenn des wieder a Gschicht wird, dann gnua.“
Ich geh weiter, unsre Blicke kreuzen sich kurz. Nix Bedrohliches – eher nüchtern. Aber er hebt die Hand, zeigt auf den Boden. Da liegt a Stück Filmrolle, ausgewickelt, nass.
„Des ghört wohl Ihnen“, sagt er ruhig.
„Sog ma, woher wiss’n Sie des?“
Er grinst nur. „Weil Sie drauf sind.“
Ich heb die Rolle auf, ganz langsam. Auf einem der Bilder – kaum sichtbar – die tote Frau. Wieder diese blasse Hand im Schilf. Aber neben ihr, verschwommen, steht … irgendwer mit meiner Jacke.
Ich spür, wie sich mir die Nackenhaare aufstellen. Der Mann dreht sich um, geht einfach Richtung Stadt, ohne noch was zu sagen. Kein Zucken, kein Gruß. Nur dieses leichte Pfeifen, das im Nebel hängenbleibt.
Ich bleib noch a Weile da, spür den feuchten Boden durch die Schuhsohlen. „Wenn des wieder anfängt“, sag ich halblaut, „dann steh i scho mittendrin.“
Ich geh am Fluss entlang. Der Steg ächzt bei jedem Schritt. Unter mir gluckst das Wasser, ein Geräusch wie ein alter Atem. Dann – ein dumpfer Schlag. Ich zuck zusammen. Nur ein Ast, der fällt, red ich mir ein. Und trotzdem is mir, als würd’s jetzt hinter jedem Baum flüstern.
Oben auf dem Hügel brennt ein einzelnes Licht. Vielleicht von Leitners Dienstwagen. Vielleicht auch net. Ich spür die Rolle in meiner Tasche – ein Knistern, als wär sie lebendig.
Ich setz mich auf die Holzbohle, schnauf tief durch. Das Wasser zieht ruhig dahin, und für einen Moment scheint alles stillzustehen. Aber dann … ein Lachen, ganz fern, kaum hörbar. Kinder oder Wind? Schwer zu sagen. Und genau deswegen krieg ich Gänsehaut.
Alte Schatten
Dahoam, später. Ich trockne den Film überm Herd. Im schwachen Licht schimmern die Konturen. Anna war’s, denk ich kurz. Aber dann – nein. Oder doch? Das Gesicht, nicht ganz klar, aber vertraut.
Leitner ruft an. „Hab gehört, du machst wieder Ausflüge an die Ilz.“
„Reine Feldforschung“, sag ich trocken. Er schweigt auffällig lang.
„Bleib lieber z’Haus, Grantler. Wir ham da grad was am Laufen.“
„Was?“
„Ein Hinweis. Alte Kamera, Seriennummer. Vielleicht deine.“
Klick. Er legt auf.
Ich sitze da, die Finger riechen nach Chemie. Mein Blick gleitet über das nasse Negativ. Und da, im letzten Streifen, erkenn ich was Neues: im Hintergrund meines eigenen Flurs – eine zweite Silhouette. Weiblich. Wie Anna.
Mein Magen zieht sich zusammen. Ich stütz den Kopf in die Hände. „Des kann net sein.“ Aber jedes Mal, wenn ich blinzel, bringt mir die Dunkelheit mehr Details. Der Bogen von ihrem Mund, der Schal, den ich selbst einmal verschenkt hab.
Ich leg das Negativ zur Seite und geh zur Kommode. Da liegt noch ihr Brief, nie abgeschickt, nie geöffnet, was weiß der Teufel. Gab mir der Leitner damals zur Verwahrung. „Später vielleicht“, hat er gesagt. Ich greif danach, zögernd. Les die ersten Zeilen: ein Gruß, warm und fremd zugleich. Sie schreibt von Aufbruch, von Licht. Und dann stockt’s, weil mein Herz sich von innen gegen die Rippen stemmt wie a gefangener Vogel.
Ich schieb den Brief wieder rein, greif nach der alten Leica, die seit Jahren im Regal steht. Staubig, tot. Nur: als ich sie heb, spür ich, dass der Auslöser gespannt is. Jemand muss sie berührt haben. Vor Kurzem.
Ich schraub sie auf, fühl den Widerstand im Gehäuse – und es fällt mir was entgegen: ein winzig zusammengefaltetes Negativstück. Ein Auge drauf, mein’s vielleicht, schwer zu sagen. Aber es blinzelt mich fast an. Ich schmeiß’s in den Aschenbecher. Der kleine Brandfleck zischt, stinkt nach alten Sommern.
Besuch aus der Dunkelkammer
Ich halt’s Licht aus. Nur die Herdflamme glimmt. Auf einmal ein Kratzen – leise, aber ganz nah. Kommt aus der Vorratskammer. Ich bleib stehen, lausche. Wieder. „Is jemand da?“ Keine Antwort, bloß ein leichtes Zischen. Ich zünd die Taschenlampe an. Nix. Nur der alte Mantel, der gegen die Tür flattert. Ich lache, nervös. „Oans nach’m andern, sauber.“
Aber dann fällt mir auf, dass auf der Innenseite der Tür… Kratzspuren sind. Frisch. Drei, vier Linien, diagonal, so präzise, als hätt jemand mit’m Messer… oder mit’m Fingernagel.
Und dann das Klopfen
Fast Mitternacht. Kein Wind, kein Geräusch. Nur leises Tropfen irgendwo im Rohr. Ich stütz mich ab, geh zum Fenster. Nix. Dann das Klopfen. Drei Mal, ganz sacht, unten an der Haustür.
Ich halt den Atem an. Draußen steht niemand.
Aber unten am Türknauf – hängt was. Eine alte Kamera. Zerkratzt. Und aufm Objektiv, mit Edding, steht: „Entwickel mich.“
Mir wird kalt. Und das, obwohl’s draußen zwölfeinhalb Grad hat.
Ich fluch leise. „De oide Scheiß illusion isn koa Zufall mehr…“
Ich heb die Kamera an, spür das Gewicht, das Herz schlägt schneller. Das Ding ist lauwarm – als wär’s grad eben erst benutzt worden. Ich nehm’s mit rein, leg’s auf den Tisch. Der Geruch von altem Metall und Staub steigt auf, gemischt mit etwas Unbekanntem: vielleicht Parfüm oder kalte Angst.
Ich schraub vorsichtig den Deckel auf. Innen… Film. Sauber aufgewickelt, dicht, kein Staub. Nur – ein Fingerabdruck auf dem Glas. Zart, aber frisch. Ich leg die Stirn auf das Holz, hör meinen Atem. Wenn i jetz anfange, is kei Weg z’rück.
Aus’m Augenwinkel seh ich die Uhr, kurz nach eins. Die Lampe flackert. Die Stadt draußen scheint stillzustehen. Ich nehm die Filmrolle raus, halt sie gegen das Licht, nur so zum Test – und schwör, ich seh Bewegung, als ob sich was unter der glatten Oberfläche rührt.
„Na guat“, raun ich. „Dann bring ma’s halt ans Licht.“
Ich richte die kleine Dunkelkammer ein, alles wie früher: rote Lampe, Schalen, Lösung. Jede Geste sitzt. Doch während sich die ersten Konturen abzeichnen, spür ich, wie mir die Haut am Nacken prickelt. Der erste Streifen zeigt mein Wohnzimmer. Leer. Der zweite? Der Flur – offen, als hätt grad wer die Tür aufgemacht. Und auf dem dritten … steh ich. Genau da, wo ich jetzt steh. Kamera vorm Gesicht. Im Hintergrund: ein Schatten auf meiner Schulter.
Ich stolpere zurück, das Herz im Hals. Kein Laut außer dem Tropfen der Chemie. Ich schau zum Fenster, erwart irgendwen, irgendwas. Nur Nebel. Nur Nacht.
Dann – ein kurzes Aufflackern draußen, wie Blitzlicht. Kein Donner danach. Nur dieses zähe Schweigen, das die Zeit festhält.
Ich bleib stockstill, halt die Kamera fest. Irgendwo, denk ich, is noch eine Wahrheit verborgen. Oder mehrere. Vielleicht is das Graue am Himmel bloß die Rückseite von irgendwas, das schon lang zuschaut.
Der Himmel ist immer noch grau. Und der Fluss – still. Zu still.
Und grad, bevor ich das Licht löschen will, hör ich’s wieder: ein letztes, leises Klicken, als hätt jemand den Auslöser gedrückt.
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