Windstille überm Inn
Der Wind hat heit keine Meinung. Alles steht still – die Bäume, die Fahne vorm alten Bootshaus, selbst das Wasser tut bloß so, als würd’s fließen. Elf Grad, wolkig. So a Wetter, wo’d Leut grantig werden, weil nix passiert. Ich lehn mich ans Fensterbrettl, schau runter in’n Hof. Da, wo gestern der Parker-Mann stand – leer. Bloß a Fleckl feuchter Dreck, wia a Abdruck. Heit Nacht war’s ruhig, fast zu ruhig. Doch das Summen da, aus der Wand … hm, des is neu.
Ein feines Brummen, wia von einem uralten Projektor. Ich leg mein Ohr an die Wand zur Vorratskammer. Kalt, feucht. Dann dieses Klack – das gleiche Geräusch wie von der Kamera. Mei, i hätt’s wissen sollen. Nie is was vorbei hier.
„Na, Kramer, du Depp“, murmel ich. „Des schreit fei nach Kellerschlüssel.“
Ich bleib no a Moment so stehn, lausch. Der Wind draußen scheint fast beleidigt, dass i ihm den Rücken zukehr. Von drüben, aus’m Nachbarhof, normales Klappern – die Mülltonnen, ein Deckel, a Katze vielleicht. Trotzdem, da is a Unterton, a Rhythmus. Drei kurz, zwei lang – genau wie des Signal am Funkgerät vom alten Innwacht-Haus, damals, wie ma noch jung waren.
A Gedanke schiebt sich durchs Schädelinnere: Vielleicht ist’s ja bloß mein eigener Puls, der so schlägt. Oder einer, der von früher zurückklopft.
Ich drück die Zigarette aus, greif mir den Mantel. Im Gang riecht’s nach nassem Holz und vergessenen Briefen. Alles beim Alten – aber des Summen bleibt.
Zwischen Schatten und Staub
Bevor i runtergeh, bleib i im Stiegenhaus stehn. Da hängt noch immer das Bild vom Wirtshaus, gemalt vom alten Strobl. Die Farben verblasst, aber die Szene – die Isar im Sonnenlicht – wirkt fast wie ein Hohn. So hell war’s hier schon lang nimmer. Ich starr drauf und denk mir: Wenn’s gut geht, mal i mir irgendwann auch so ein Sommerbild, ganz ohne Schatten.
Doch dann hör i wieder das Klack aus der Tiefe. Der Keller ruft, wia a Hund, der sei Herrl sucht.
Unten, wo’s modrig wird
Die Stufen runter riechen nach Pilz und altem Film. Unten zieht’s. Die Luft schmeckt nach Metall. Ich nehm die Taschenlampe, geh am Gang entlang. Tür drei, viere – da is er, „Keller 4“. Der Rost hat sich schon über die Riegel gefressen, aber der neue Schlüssel – der, den jemand hingelegt hat – passt. Ein leises Klacken, und ich steh mitten in einem Raum, der eigentlich ned existieren sollt.
An der Wand hängt ein Stück Leinwand, halb zerfetzt. Darauf: Schatten. Kein Bild, kein Licht – aber Schatten, die sich bewegen, obwohl die Lampe still steht. Ich geh näher hin. Da, in der Mitte: Umrisse zweier Personen. Eine davon groß, hager. Der andere … kleiner, wie ’ne Frau mit offenen Haaren. Ich spür, wie sich was im Bauch dreht.
„Anna?“, flüstere ich. Der Name hängt in der Luft wie Rauch.
Dann, hinter mir, eine Stimme. „Du bist spät dran, Kramer.“ Die Lampe flackert. Ich dreh mich, nix. Nur das Tropfen des Rohrwassers.
Ich stell die Lampe auf den Tisch, wo noch alte Dosenfilmrollen liegen – verstaubt, feucht. Einige beschriftet mit Nummern, andere schlicht leer. Ich wisch über eine, da steht: „April 1984 – Park.“ Der Deckel ist verhockt. Ich hör’s leise Klirren von innen, als wär ein Stück Glas drin. Vielleicht Film, vielleicht was anderes.
Mein Herz macht an kleinen Hüpfer. Im Licht der Lampe glitzert was auf dem Boden – a Schraube, alt, verrostet, daneben a halbes Stück Negativstreifen. Ich heb’s auf, reck’s Richtung Leinwand – und, verdammt noch mal, im Moment, wo das Licht durch das Negativ fällt, bewegen sich die Schatten auf der Leinwand schneller. Eine Hand hebt sich. Groß. Dann ein kurzes, dumpfes Geräusch, wia ein Atemzug von unten raus.
Ich reiß den Film weg, aber des Bild bleibt. Bloß kurz. Dann wieder Stille.
Ich setz mich auf an Kistnrand. Das Holz is weich, fast morsch. Ich streich die Finger ab, grauer Staub bleibt dran kleben. Da packt mich so ein Gefühl, als hätt i eben was gsehn, was eigentlich ned gsehn werden wollt.
„So war’s also damals, ja?“ sag ich leise, zu niemand Bestimmtem. „Ihr habt’s ned aufhör’n können, gell?“
Doch mit einmal ändert sich die Luft. Das Summen von oben setzt wieder ein, diesmal stärker, fast dröhnend. Ich glaub, ich hör Wörter drin – undeutliche Sätze, syllabenweise. „Film … fertig … Keller …“ Ich pack die Lampe, geh rückwärts raus, Schritt für Schritt, bis i wieder die Treppe seh. Erst da hör’s auf.
Oben atm ich durch, als wär ich aus kaltem Wasser taucht. Schuhsohlen voll Matsch. Ich spür, wie die Finger zittern, drum steck ich mir gleich a Zigarette an, auch wenn’s stinkt.
Der Nachhall
Im Flur drah i mich no einmal um. Aus dem Keller steigt a dünner Nebelfetzen, ganz langsam, als wollt er mir nach. Ich red mir ein, es is bloß der Atemunterschied, kalt gegen warm, aber das is a Lüge, die so alt is wia meine Nachbarn.
Im Gasslbräu
Resi schaut mich an, als hätt i Fieber. „Du schaust aus, wia der Tod auf Urlaub“, sagt sie und stellt die Halbe hin. „Leitner war grad da. Wollt wissen, ob du was gfundn hast.“ Ich heb die Brauerei-Krone, bloß so halb. „Sagst ihm, er soll sei G’schicht selber finden.“
Sie grinst, schüttelt den Kopf. „Der hat wos erzählt, Kramer … dass der Parker-Mann früher selber bei der Polizei war. Irgendwas mit Fotoarbeiten. Beweisabteilung, oder so.“ Ich bleib beim Wort „Foto“ hängen. Mei, jetzt wird’s rund. „Hat er auch g’sagt, warum der jetzt im Hof rumsteht?“
„Naa“, sagt sie leise, „bloß, dass er nimmer ganz sauber sei. G’hört nimmer zu den Unsrigen, hat der Leitner g’sagt.“ Sie beugt sich vor. „Und was is des, was du dauernd entwickeln lässt? Heit war a junger Kerl im Laden, schaut dir ähnlich, hat gefragt, ob du schon was vom dritten Film wissen willst.“
Ich zisch nur. „Vom dritten? I hob bloß zwoa …“
Resi lehnt sich zurück, kaut nachdenklich am Rand der Serviette. „Du, Kramer, manchmal kommen’s halt von selber, die Filme. So wia Leut, die wieda auftauchen, obwohl’s keinen Grund gibt.“
Ich schau sie scharf an. „Wen meinst?“
„Na, is eh wurscht. Bloß … da draußen im Hof, in der Früh, da hat’st a Schlüsselbund fallen lassen. Jemand hat’n aufgehoben. A schmaler Typ, roter Schal, dunkle Brille.“
Ich erstarr. „Schal?“
„Ja, wia’s halt so trägt, wenn’s kalt zieht. Hat g’sagt, er bringt’s dir später. Für mich hat’s ausgeschaut, wia wenn er genau wüsst, bei welcher Tür der Schlüssel passt.“
Ich trink den Rest in einem Zug, spür, wie der Hopfengeschmack sich legt, bitter. „Resi, wenn der Typ wieda auftaucht, g’frei dich ned, verstehst?“
Sie nickt, sagt nix mehr. Nur die Musik aus der alten Jukebox dudelt ein Lied, das zu viel weiß über Einsamkeit.
Ich geh hinaus, zieh den Mantel enger. Draußen hat’s leicht zu nieseln angefangen, so ein Regen, der tut nix Gutes, bloß hält alles in Schwebe. Die Laternen spiegeln sich in den Pfützen, unruhig. Und ich schwör, im Glas der Wirtshaustür seh ich kurz mein eigenes Gesicht doppelt.
Der dritte Film
Heimweg. Die Gassen feucht, das Pflaster kalt. Wolken hängen tief über den Türmen. Ich komm heim, und da liegt was vor der Tür. Wieder ein Umschlag. Dünner diesmal. Nur ein Foto drin. Mein eigener Keller drauf, aber aus einem Winkel, den’s gar ned geben kann. Überbelichtet in der Mitte, undeutlich. Doch an der Wand – ein Schattenriss. Zwei Gestalten. Einer davon trägt … einen Parker.
Ich dreh das Foto um. Hinten steht, mit Bleistift, bloß drei Worte: „Er weiß jetzt.“
Mir wird’s im Nacken kalt. Ich setz mich an den Tisch, leg das Foto unter die Lampe. Vom Fenster her fällt mattes Licht auf die Rückseite – da, ganz schwach eingefräst: Zahlen. Drei. Zwei.
Same Signal wie drüben am Fluss.
Ich leg das Bild beiseite, geh rüber zur Kommode, wo die zwei alten Filme liegen. Einer schon entwickelt, der andre unberührt. Der dritte – angeblich – fehlt. Doch inzwischen frag i mich, ob der dritte vielleicht gar koan Film meint, sondern was anderes. A dritte Präsenz vielleicht. A dritte Erinnerung.
Ich greif zur Kamera. Der Auslöser ist locker, als hätt ihn jemand angerührt. Ich fotografier das Foto selbst. Der Blitz haut hell durchs Zimmer, kurz wie a Herzstillstand. Auf dem neuen Bild, das langsam aus der Sofortbildkamera surrt, steht plötzlich eine Gestalt, seitlich im Bildrand – nicht ich. Und ganz unten, am Schatten meiner Hand, is a kleine Spur, wia von Schnee.
Ich lach leise, so aus’m Hals heraus. „Also doch Schnee. Im Mai.“
Eine Windbö rüttelt an der Scheibe, und irgendwo im Hausflur klappert eine Tür. Ich steh auf, geh hin, mach auf – leer. Bloß der Geruch von nasser Wolle. An der Treppenmauer klebt ein Zettel. Bleistift, krakelig: „Bleib weg von Keller 4.“
Ich reiß ihn ab, zerknüll ihn und hör mich selber sagen: „Zu spät.“
Die Erinnerung tropft
Es is schon Nacht, der Rauch hängt flach unter der Decke. Ich sitz mit offenem Hemdknopf am Fenster, schau raus zum Fluss. Der Inn wirkt schwarz, als hätt er kein Ufer mehr. Drüben auf der anderen Seite brennt ein Licht, einsam, flackert, verschwindet wieder. Wie früher, wie in der Nacht, bevor Anna verschwunden is. Ich weiß no genau: Das gleiche Wetter, die gleiche Stille.
Ich schließ die Augen, und für an kurzen Moment glaub i, ich hör ihr Lachen. So kurz, dass ich fast denk, ich hab’s erfunden. Aber das Summen im Stromkasten bestätigt’s: irgendwas is lebendig geworden.
Ich fluch, geh zum Tisch, leg alle Fotos nebeneinander. Zwei Gesichter, zwei Schatten, zwei Gestalten. Immer dieselbe Haltung, immer dieselbe Bewegung. Nur dass es diesmal ausschaut, als würd einer den anderen warnen. Oder führen.
Ich red vor mich hin: „Dritter Film hin oder her, weist mich ja eh wo hin. Gut, dann spiel ma halt weiter.“
Ich fang an, Dinge einzupacken: Taschenlampe, Kamera, Notizbuch, das kleine Klappmesser, das ich von meinem Vater noch hab. Und a Flasche Kirschgeist, rein zur Stärkung oder als Waffe, je nach Situation.
Und dann: das Knacken
Wieder dieses Klack, diesmal aus dem Radio. Kurz drauf rauschen Stimmen, wie durch Nebel: „Keller vier … nicht allein.“
Dann Stille. Nur mein Atem.
Ich geh ans Fenster. Unten im Hof steht wieder einer. Kein Parker diesmal. Dunkler Mantel, roter Schal. Er hebt die Hand – und zeigt mit zwei Fingern nach unten, Richtung Keller.
Für an Moment denk ich, dass i schreien müsst, oder wenigstens lachen – irgendwas. Aber i steh bloß da, mit offener Hand, und schau. Der Regen hat aufgehört, und die Luft ist schwer. Der Mann bewegt sich nicht. Stattdessen kippt das Außenlicht, so wie beim Projektor, wenn der Streifen reißt. Und ich schwör, für den Bruchteil einer Sekunde seh ich, wie hinter ihm noch wer steht – unscharf, wie aus altem Zelluloid, aber eindeutig. Eine Frau mit offenen Haaren. Sie nickt.
Dann, Klack. Licht aus. Hof schwarz.
Ich greif zur Kamera auf dem Tisch, das Ding fühlt sich plötzlich warm an, fast lebendig. Ein mechanisches Surren läuft an, ohne dass ich was drück. Der Film zieht sich ein. Automatisch. Auf dem kleinen Display blinkt eine Zahl: 3.
Drei. Zwei. Dann flimmert’s, und das Geräusch von Wasser tropft irgendwie aus dem Lautsprecher der Kamera.
Ich murmel bloß: „Na, dann kennt’s mi wohl schon beim Namen.“
Fertig bin i für heit.
Aber morgen … morgen steig i wieder runter.
Und diesmal nehm i a Kamera mit – und vielleicht no a Flasche mehr.
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